Galerie/Berichte
Tesco-Festival 2007

Galerie Schallschutz, Dogpop, Ure Thrall, Post Scriptum, Janitor, Genocide Organ, SPK - Despair (DVD-Preview)

Samstag/Sonntag, 29./30.09.2007 Schouwburg AT Cultuurcentrum Luchtbal, Antwerpen (B)

 

 

350 km to GO

Es gibt Label, deren Veröffentlichungen fast immer etwas Besonderes darstellen und kontrovers diskutiert werden. Die Rede ist vom Tesco-Label, bei dem namhafte Bands wie Genocide Organ, Anenzephalia usw. erschienen sind. Da liegt es natürlich nahe, dass man dem angekündigten Festival im 350 km entfernten Antwerpen einen kurzen Besuch abstattet. Anfänglich war ich noch ein wenig verwundert, dass man für 6,5 Auftritte zwei Festivaltage benötigt. Aber bereits am ersten Tag konnte ich diese organisatorische Entscheidung nachvollziehen.

Die reibungslose Anreise ermöglichte ein recht frühes Eintreffen im ca. drei Kilometer vom Veranstaltungsort entfernten Hotel. Eine stressige Vorbereitung und Nahrungsaufnahme konnte so glücklicherweise ausgeschlossen werden. Selbst das Wetter spielte einigermaßen mit, so dass ein Unterstellen vor dem Veranstaltungsort nicht mehr nötig war. Dafür gab es eine andere Überraschung. Vor dem Eingangsbereich hing ein riesiges Plakat, auf dem das Festival mit allen Bands unzensiert angekündigt wurde. In Deutschland wäre so etwas sicherlich nicht ohne Zwischenfälle abgelaufen.

Der Veranstaltungsort ist ein relativ nobles Kulturzentrum, was man im Eingangsbereich allerdings noch nicht ohne weiteres erkennen kann. Erst beim Betreten des bestuhlten Innenraums kommt man in den Genuss eines sehr gepflegten und luxuriösen Theaters. Durch ein generelles Rauch- und Trinkverbot in diesem Bereich wird sich dieser Zustand in den nächsten Jahren sicherlich nicht zum Negativen verändern. Was die einen freut, stört bestimmt die anderen. Aber diese Zeitgenossen werden noch genug andere Möglichkeiten finden, um die Lachen aus ihrem Bier- und Aschegemisch überall zu verbreiten.

Einlass am Samstag war um sieben und Beginn kurz nach acht mit dem Projekt Galerie Schallschutz. Die leicht geöffneten Vorhänge ließen nur einen Blick auf eine Leinwand zu, vor der sich ein gewöhnlicher Holzstuhl befand. Dies erweckte den Eindruck einer sehr dezenten Bühnenshow. Die Leinwand wurde gleich zu Anfang mit Videos befeuert auf denen so ziemlich alles gezeigt wurde, was auf eine Ablehnung des „angestrebten" Überwachungsstaates schließen lässt. Das konnte selbst den noch bis zu diesem Zeitpunkt mündigen und informierten Bürger nicht kaltlassen, der sich bandagiert und Zeitung lesend auf den zentralen Holzstuhl begab. Denn wenig später öffneten sich die Vorhänge komplett und man erkannte, dass er sich unter einem riesigen Metallgerüst befand. Links und rechts von ihm befanden sich Spiegel, in denen sich das Publikum betrachten konnte bzw. musste. Zusätzlich wurde der Zuschauerraum noch durch Kameras überwacht und die Bilder ebenfalls auf die Leinwand projiziert. Spätestens jetzt wusste man, dass man selbst im Visier ist und nicht wie so oft naiv mit der Begründung „Davon bin ich ja nicht betroffen, weil ich nichts schlimmes mache" zurücklehnen kann.

Verstärkt wurde die Dramatik noch durch die Präsenz zweier Staatsorgane, die hinter den Spiegeln hervortraten und den gläsernen Bürger auf der Bühne in Richtung Boden beförderten. Seine Lage verbesserte sich nicht gerade, als man ihm noch mehrere Seile angelegte. Der entmündigte Bürger musste seine Kontrolle inzwischen komplett an die beiden Anzugträger abgeben, die ihn mit Hilfe des riesigen Metallgerüsts und den Seilen wie eine Marionette steuern konnten.

Nach diesem Szenario wurde das Publikum wieder mit einbezogen. Riesige Taschenlampen und Scheinwerfer dienten als Werkzeug, um verschiedene Gäste während eines Kontrollgangs in den Sitzreihen zu durchleuchten. Ein paar Besucher hatten das Glück, nicht davon betroffen zu sein, weil man sie für ihre Zwecke rekrutierte und ihnen die Seile zur Steuerung der Marionette überreichte.

Es ist immer wieder schön zu sehen, dass es noch Projekte gibt, bei denen Musikerstellung und Live-Performance zwei komplett verschiedene Dinge sind. Niemand braucht Musiker, die so tun, als ob sie ihre 20 Spuren allesamt live erzeugen aber in Wirklichkeit nur ihre Instrumente auf der Bühne stehen haben. Da bevorzuge ich doch lieber diese ehrliche Trennung und genieße eine ausgereifte visuelle Darbietung!

Richtig schräg ging es mit Dogpop nach einer benötigten Umbaupause weiter. Natürlich erst nach mehrmaligem Ertönen des Pausensignals, wie es sich für ein anständiges Theater gehört. Der Zusammenschluss von Kommando Daniel und Anenzephalia Michael lies auf eine harte Gangart schließen. Genau dies war aber nicht der Fall. Wo man eher Krachlaute vermutete, gab es sanften Pop mit sehr „albernen" Texten, die phasenweise versteckte Botschaften transportierten. Da beide Künstler recht merkwürdige Masken trugen, wechselte ich meine Position vom hinteren Bereich des Theaters in die erste Reihe, um mehr erkennen zu können. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie nur Halbmasken trugen, die man als äußerst suspekt einstufen konnte bzw. kann. Außerdem wirkte der Auftritt aus der ersten Reihe wesentlich dynamischer, als aus größerer Entfernung, obwohl man selbst noch auf den hintersten Plätzen genug zu sehen bekam, da die riesige Leinwand in ihre Performance mit einbezogen wurde. Zu sehen gab es ein paar Haustiere in Hundeform und verschiedene Comics. Besonders ansprechend fand ich ihren Song Dogporn, deren Melodie den meisten noch vom 1972er Hit Popcorn der Gruppe Hot Butter bekannt sein dürfte. Das Original stammt übrigens aus dem Jahre 1969 vom Komponisten und Moog-Liebhaber Gershon Kingsley, dessen Version mir immer noch am besten gefällt. Nach viel Ach ja!?, HaHaHa und ShaLaLa durfte ich in leicht verstörte Gesichter schauen.

Einen sehr ruhigen Abschluss des ersten Festivaltages gab es mit Ure Thrall. Sehr atmosphärische Klänge und Flächen, erzeugt mit teilweise analogen Instrumenten, wie Querflöte und Stromgitarre, boten einen extremen Gegensatz zur vorherigen Darbietung. Genuss pur für Freunde der Entspannung und der Ambientklänge. Zu sehen gab es drei Künstler hinter einem lang gezogenen Tisch. In der Mitte befand sich der Mann, bei dem alle Soundfäden zusammenliefen. Durch seine Bewegungen erweckte er den Eindruck, dass diese allesamt noch durch ihn hindurch flossen. Die beiden anderen Musiker, links und rechts von ihm, konzentrierten sich hingegen voll auf das Spielen ihrer Instrumente. Beide sind übrigens nicht gerade unbekannt, sie bilden das Projekt Voice of eye.

Kurz nach zwölf ging es in Richtung Hotel und um elf des anderen Morgens checkten wir bereits wieder aus, da nur eine Übernachtung angesetzt war. Die Zeit bis 18:00 Uhr ließ sich hervorragend mit einer Hafenrundfahrt und einem Cafébesuch überbrücken. Dabei spielte glücklicherweise das Wetter mit und wir konnten uns bei strahlendem Sonnenschein permanent draußen aufhalten.

Pünktlich um 19:00 Uhr wurde der zweite Festivaltag mit Post Scriptum eingeläutet. Auch hier gab es eher ruhigere Klänge zu genießen. Dafür waren die Hintergrundvideos alles andere als eine geschönte Welt. Leidende Menschen und Hinrichtungsszenen dominierten das Bild.

Mit viel Promille gab es mal wieder einen Auftritt von Lina Baby Doll, diesmal unter dem Projektnamen Janitor. Seine Klänge und das Rumalbern auf der Bühne waren noch ganz witzig, das Hintergrundvideo war allerdings sehr arm. Er ließ einfach einen etwas entschärften Pornofilm aus den Siebzigern auf der Leinwand laufen, ohne diesen auch nur im Geringsten künstlerisch aufzuwerten. Vielleicht versuchte er es ja mit den Biene Maja Flügeln auf seinem Rücken, aber das ist reine Spekulation. Der Auftritt konnte mich zwar nicht begeistern, dennoch trug er zur Vielseitigkeit des Festivals bei.

Jetzt kam der Moment, auf den sicherlich die meisten gewartet hatten, der Auftritt von Genocide Organ. Vier Personen, die sich trotz hoher Erwartungshaltung nicht aus ihrem Konzept in Bezug auf Sound und Performance bringen lassen, aber dennoch ein Garant für höchste Qualität sind. So gab es einen anspruchsvollen Auftritt zu bewundern, bei dem der druckvolle Sound natürlich nicht fehlen durfte. Begleitende Videosequenzen mit viel Aussagekraft rundeten das Gesamtwerk ab. Bewegungsabläufe auf der Bühne waren so einstudiert, dass man stets das Gefühl bekam, hier sind Perfektionisten am Werk. Selbst Klänge aus nicht elektronischen Instrumenten wie einem speziellen Horn und einem mit Brechstange bearbeiteten Ölfass fügten sich ausnahmslos in das elektronische Klangbild ein. Da es immer wieder neue Dinge zu entdeckten gab, sei es auf der Bühne oder bei den Videos, wirkte der Auftritt im positiven Sinne überladen und ließ noch nicht einmal ansatzweise eine destruktive Monotonie aufkommen. Obwohl ich die gesamte Darbietung mit der Schulnote sehr gut bewerten würde, war ich dennoch ein wenig enttäuscht, wahrscheinlich weil ich, bedingt durch die jahrelange Vergötterung ihrer Fans, einfach noch mehr erwartet habe. Auf eine Zugabe mussten wir leider verzichten - da war das Publikum meiner Meinung nach bei den Rufen etwas zu schwach, ansonsten wäre bestimmt noch etwas drin gewesen. Dafür machte Lina zwischen den Sitzreihen noch ein wenig auf sich aufmerksam. Er philosophierte ein wenig und sang dabei einen Klassiker von Madonna, sehr zur Erheiterung des Publikums, das warscheinlich viel lieber noch einmal Genocide Organ auf der Bühne sehen wollte.

Die ursprünglich für den Samstag vorgesehene SPK-Despair DVD-Preview sollte laut Plakat erst am Sonntag stattfinden. Und so gab es nach dem Genocide Organ Auftritt doch noch einen Grund sich etwas länger im Schouwburg AT Cultuurcentrum Luchtbal aufzuhalten und nicht sofort die Heimreise anzutreten. Wie vermutet gab es das rare und altbekannte Material verschiedener Live-Auftritte und Studioaufnahmen in DVD-Qualität zu bewundern. Besonders gut wirkte die Live-Version von Beruftverböt, bei der eine ziemlich gute Perkussion den ohnehin schon genialen Titel noch weiter aufwertete. Eingeleitet wurden die Mitschnitte durch verschiedene Statements bzw. ein Interview mit Tone Generator, einem Mitglied aus der Anfangszeit. Uns wurde allerdings nur ungefähr ein Drittel der DVD gezeigt, was wohl ein Fehlen bekannter Geschlechtsteil- und Sezier-Szenen erklären dürfte. Wer auf unausgegorene Videoeffekte aus den 70ern, eine eigensinnige Bühnenperformance und den kranken Sound von SPK steht, der sollte sich diese DVD auf jeden Fall zulegen. Wer hingegen Industrial mit Showlaufen, szenekonformem Dresscode und technoiden Fuchtelbewegungen in Verbindung bringt, der sollte sein Geld lieber der nächsten Großraumdisco oder Modeboutique in den Rachen schieben.

20070907

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Galerie Schallschutz

Galerie Schallschutz

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Dogpop

Dogpop

Dogpop

Dogpop

Dogpop

Dogpop

Ure Thrall

Ure Thrall

Ure Thrall

Post Scriptum

Post Scriptum

Post Scriptum

Janitor

Janitor

Janitor

Genocide Organ

Genocide Organ

Genocide Organ

Genocide Organ

Genocide Organ

Genocide Organ

Genocide Organ

Genocide Organ

Genocide Organ

"SPK"

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